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„Dafür bin ich sehr, sehr dankbar“ – Miroslav Jagatic im großen Interview zum Jahresende

By 25. Dezember 2021No Comments

Foto: BSG/Christian Donner

Ein aufregendes und ganz sicher nicht normales Jahr 2021 neigt sich mit dem Weihnachtsfest langsam aber sicher seinem Finale zu. Mit dem Ende des Kalenderjahres findet auch bald das dritte Amtsjahr unseres Trainers der Regionalligamannschaft seinen Abschluss. Grund und Anlass genug für unseren Medienchef René Jacobi, ein ausführliches Gespräch mit ihm zu führen. Im großen Interview spricht Miroslav Jagatic über Vorbilder, Dankbarkeit, Identifikation, drei Jahre bei Chemie in Vergangenheit und Zukunft, den chemischen Nachwuchs, seinen Glauben und vieles mehr.

RJ: Miro, hallo! Das tägliche Streben nach Glück, wie läuft‘s? Bist du glücklich und zufrieden?

MJ: Ich bin glücklich. Und zufrieden? Na sicherlich.

Lass uns doch mal schauen auf das zurückliegende Jahr, die zurückliegenden Monate. Nimm uns ein Stück weit mit: Was war 2021 der Moment deines höchsten Freudensprungs und ebenso umgekehrt – wo sagst du, das brauchst du nicht noch mal?

Sportlich gesehen oder privat? Erstmal sportlich gesehen, würde ich sagen. Es war, als wir wieder die Fans im Stadion hatten. Dieses Gefühl, als alle wieder da waren und du nach vorne gepeitscht wurdest – einfach diese Situation, der Fußball, den wir alle lieben. Das war ein absolut geiler Moment und in den ersten Spielen der Höhepunkt. Da habe ich ehrlich kaum auf die Ergebnisse geschaut. Wir versuchen sowieso immer, das Optimale mit der Mannschaft rauszuholen. Doch dann siehst du auch wieder die Ideen, die Choreografien, wie einfach alle mit dabei sind, auch auswärts! Das ist schon eine geile Sache.

Negativ ist es dann natürlich, dass jetzt alles eben wieder ohne Zuschauer ist, da fehlt einfach etwas Entscheidendes. Dieses Fußballgefühl ist wieder verloren gegangen. Wir versuchen uns jeden Tag zu pushen, aber irgendwie ist es schon komisch, wenn dann irgendwo einer aus der Ecke hustet und du kriegst es überall auf dem Platz mit. Ich kann dann vielleicht die Mannschaft besser coachen, bin näher dran und so weiter – aber du merkst beim Gegner und auch bei uns, dass einfach diese letzten Prozentpunkte fehlen, dieses Pushen der Fans, das uns in der Vergangenheit immer so stark gemacht hat. Ich mache da aber niemandem einen Vorwurf. Das ist jetzt einfach die Pandemie, wie sie ist – es regt mich nur ein bisschen im Privaten auf. Da sage ich ‚Hey Leute, kommt, lasst uns mal alle die Arschbacken zusammenkneifen! Lasst uns das alle gemeinsam überstehen! Auch wenn es andere Menschen gibt, denkt doch sozial, kommt!’

Der Spuk muss irgendwann ein Ende haben, damit wir alle wieder ein normales Leben führen können. Ich möchte auch außerhalb des Fußballs mit meiner Familie wieder ganz normal losgehen können, mit meinen Kindern Eis essen. Da möchte ich dann nicht aufpassen müssen, dass ich den Abstand einhalte, ob meine Maske richtig sitzt oder ob ich etwas angefasst habe und dann wieder die Hände desinfizieren muss. Ich glaube, darunter leiden wir alle.

Was hat den Menschen Miroslav Jagatic jetzt auch mal neben dem Fußballplatz in 2021 punktuell so richtig gefreut? Welchen Moment würdest du gerne einfrieren? Hast du da so einen, wo du sagst, der bleibt in Erinnerung?

Du wirst es nicht glauben, aber: In diesem Trainerjob funktionierst du einfach. Ich glaube, es gibt so viele große und kleine Momente, an die man sich immer gerne zurück erinnert. Aber du hast im Trainerjob nicht viel Zeit, dich damit zu beschäftigen. In drei Jahren sind eine Menge geile Sachen passiert. Es sind Momentaufnahmen, bei denen mir andere sagen: „Hey komm’, jetzt freue dich doch mal!“ – ich freue mich wirklich von ganzem Herzen, ehrlich. Ich kann es nicht beschreiben, aber gleich bist du mit deinem Fokus bei der nächsten Sache, weil es auch von dir erwartet wird. Das ist der Job. Dann sagen sie dir „Jetzt genieße es doch mal.“, „Jetzt kannst du dich mal freuen.“ und so weiter. Aber kannst du es genießen? Um den Willen nach dem nächsten geilen Moment kommt leider Gottes das Genießen eben zu kurz. Das sind immer nur so ein paar Stunden wirklicher Freude, um dann wieder neu zu fokussieren. Eigentlich kann ich das eben nur jetzt machen, in der Weihnachtszeit oder in der Sommerpause.

Gab’s aber einen Augenblick, wo du gesagt hast „Das habe ich noch nie erlebt.“, wo du total überrascht wurdest?

Ja, vor Kurzem. Das war dieser emotionale Moment. Ich will jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, das war eine private Situation.

Es war für mich eine sehr schwere Zeit. Da verlieren wir auch noch das Derby und dort oben stehen die Fans (wir durften ja nur mit 450 hin). Und dann fängt der ganze Block an zu singen: „Wir halten zusammen, wie der Wind und das Meer…“ Das tat so, so gut. Auch die Ansprache ging runter wie Öl. Diesen Moment, das sage ich ganz ehrlich, den werde ich nicht vergessen. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar.

Sehr emotional, deine Schilderung. Für dich, Miro, waren die letzten eineinhalb Jahre sicherlich von großen Veränderungen in deinem Leben geprägt. Du bist im Juni 2020, nach einer Zeit des Pendelns, in der du in der Regel im Hotel gewohnt hast, nun nach Leipzig gezogen. Kroatische Wurzeln, in Berlin aufgewachsen und dort sozialisiert, jetzt hast du deine Familie hier zum Ort deiner Arbeit mitgenommen. Daher die Frage: Was bedeutet Heimat für dich?

Ich muss sagen, ich habe eine sehr große Familie, durch den Krieg auf dem Balkan in den 1990ern sind wir aber überall verstreut: Meine ganzen Cousins und Cousinen sind in alle Richtungen verteilt in ganz Europa, sogar auf anderen Kontinenten. Das ist schon komisch, das war früher ganz anders. Früher haben wir alle noch im Sommer zueinander gefunden oder wenigstens im Winter zu Weihnachten. Jetzt sehen wir uns nicht mehr so oft, jeder hat für sich zu kämpfen. Natürlich hört man voneinander, es gibt jetzt viele Möglichkeiten, über digital in Kontakt zu bleiben. Aber das Reale fehlt schon ein bisschen, ich bin ein Familientyp durch und durch. Da hört man sich mal – und dann wieder einen, zwei, drei oder vielleicht sogar sechs Monate gar nicht.

Ja, und zuhause, mein Zuhause, ist da, wo meine Familie ist. Ich brauche ein Umfeld, wo ich reinkomme und das Gefühl habe, geliebt zu werden. Klar fehlt mir natürlich auch meine große Familie, die jetzt in Berlin geblieben ist. Aber wir stehen jeden Tag in Kontakt und ab und zu fahren wir in die Hauptstadt. Aber wie gesagt, das Leben ist irgendwie komisch geworden. Ich hätte diesen Schritt nach Leipzig aber natürlich auch nicht gemacht, wenn ich nicht von der ganzen Sache so überzeugt wäre.

Vor drei Jahren hätte ich ganz ehrlich nicht gedacht, dass ich diesen Schritt wage. Die Entscheidung dazu kam später aus der Emotion, aus dem Bauch heraus. Da habe ich meine Frau gefragt: „Wärst du auch für Leipzig? Wollen wir nach Sachsen ziehen?“ Und sie nur so: „Ja!“ Sie merkte, dass ich mich hier pudelwohl fühle und immer davon erzählt habe, wenn ich nach Hause kam. Ich habe gesagt: „Ey, die Sachsen, das ist ein so so liebes, nettes Volk.“, da habe ich quasi sofort die Kündigung für meine Berliner Wohnung geschrieben, per Einschreiben mit Rückschein. Abends bekamen wir Panik, da wir ja bald keine Wohnung mehr haben würden. Dann ging alles relativ schnell: Wir haben zugegriffen, obwohl wir einige Zeit doppelt Miete zahlen mussten. Jetzt haben wir ein komplett anderes Umfeld und bis jetzt bereue ich keinen einzigen Tag in Leipzig.

Meine Kindheit in Berlin war schon schön. Doch ich wollte nicht, dass meine Kinder so aufwachsen, wie ich damals aufgewachsen bin. Bei mir war meine Jugend, vorsichtig ausgedrückt, nicht immer sehr geordnet – die Ordnung habe ich mir erst mit dem Alter angeeignet. Ich möchte einfach ein normales Leben für meine Kinder, ohne großen Stress und ohne, dass ich Panik haben muss, wenn sie irgendwo draußen rumturnen. Das habe ich in Leipzig gesehen, hier ist alles entspannter, ruhiger, stressfreier.

Ich habe dazu eine tolle Frau, die auch sagt: „Du, wenn du verlierst und eine Fresse ziehst, kannst du gleich wieder umdrehen.“ Wenn ich nach Hause komme, dann bin ich deshalb nicht mehr der Trainer, sondern einfach Papa und Ehemann und freue mich über meine Familie, alle an einem Fleck.

Nimm uns doch mal mit unter den Tannenbaum bei der Familie Jagatic. Wie feiert ihr das Weihnachtsfest? Habt ihr bestimmte Rituale?

Also ich persönlich bin ein sehr gläubiger Mensch und bete jeden Tag. Ich versuche meinen Kindern stets zu erklären, was Weihnachten eigentlich ist. Nämlich nicht, dass dann auf einmal der Mann im roten Anzug und mit einem Coca-Cola-Laster vorfährt und ohne Ende Geschenke verteilt. Mein Älterer versteht das bereits, der Mittlere bekommt es langsam auch mit. Stattdessen versuche ich zu erklären, wofür Weihnachten tatsächlich steht: Die Geburt Jesu Christi und die gesamte Geschichte drumherum.

Im Großen und Ganzen muss ich auch ehrlich zugeben, dass du den Kindern viel erzählen kannst. Wir leben in einer Konsumgesellschaft. Ich versuche immer wieder, die Zufriedenheit, die Genügsamkeit mit den kleinen Dingen zu vermitteln: Diese Werte möchte ich meinen Kindern mit auf den Weg geben. Aber Kinder haben Wünsche und du versuchst, diese den Kindern zu erfüllen – alles im geordneten Rahmen. Ich frage dann nach, ob dieser oder jener Wunsch jetzt wirklich, wirklich nötig ist? Der Wert der Dinge an sich – in meiner Kindheit sah ich oft im Fernsehen oder in der Zeitung Bilder aus Ländern, in denen Kinder hungern mussten, dass es anderen Kindern viel schlechter geht. Heute ist es irgendwie eine andere Zeit. Dennoch musst du mit den Kindern reden, dazu bist du ja auch Vater oder Mutter.

Ebenso halte ich es für wichtig, dass die Kinder vor dem Essen mit einem Gebet Gott für das Essen danken. Wir starten und beenden unseren den Tag mit einem Gebet – damit komme ich gut durch den Tag. Ich versuche dabei zu erklären, dass man nicht immer so egoistisch sein soll, auch beim Gebet! Nicht nur an sich selbst zu denken, sondern für Mitmenschen mitzubeten. Der Große versteht das. Bei unserem Kleinen wird es auch eines Tages Klick machen.

Und was gibt der festliche Speiseplan her?

Zum Essen haben wir keine speziellen Rituale, wie es sie bei Mutter noch gab und man richtet sich ja nun auch ein bisschen nach seinen Kindern. Es bringt ja nichts, wenn du einen schönen Braten hast und auf einmal isst ihn keiner. Durch die Pandemie und durch Risikogruppen in der Familie kommt es jetzt auch zu der Situation, dass wir nicht alle einladen können, damit das Essen auch aufgegessen wird.

Dafür gibt es bei uns Silvester ein festes Ritual, da gibt‘s immer Raclette. Das ist über die Jahre zur Tradition geworden. Da sitzen wir den ganzen Abend zusammen bis kurz vor Mitternacht und ich genieße es, einfach nur zu sitzen und zu sehen, dass es so schön brutzelt.

Gehen wir mal raus aus der guten Stube im Hause Jagatic in Richtung Trainerbank. „Es ist doch nur ein Spiel“ hört man da oft, sicherlich ist es komplett anders, wenn man die schönste Nebensache der Welt, wie du, als Beruf ausübt. Wie ist das bei dir, Miro, wie persönlich nimmst du den Spielausgang deiner Mannschaft?

Auch wenn ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen – ich hasse es zu verlieren. Das heißt nicht, dass es nicht Situationen gibt, wo du deinem Gegner Respekt zeigen musst, das tue ich auch jedes Mal. Aber innerlich fressen mich Niederlagen auf. Vielleicht bin ich da auch zu selbstkritisch. Ich analysiere mich immer zuerst selbst, bevor ich ich mit der Mannschaft in die Kritik gehe, jedenfalls nicht bei den Worten direkt nach Abpfiff. Ich fasse mir erstmal selber an die Nase und versuche, alles Revue passieren zu lassen. Das dauert dann immer so anderthalb Tage, bevor ich dann zu einem Resultat komme.

Findest du das gut, also diese permanente Selbstkritik?

Ich mache das, weil ich mich verbessern will, eine gründliche und ehrliche Selbstanalyse. Als Trainer muss und möchte ich mich immer weiterentwickeln. Für mich ist es wichtig, Situationen zu bewerten, zu reflektieren, und diese Erinnerungen zu verinnerlichen und umzusetzen.

Es gibt Entscheidungen, wo die Fans sich fragen warum ich dieses oder jenes gemacht habe. Warum habe ich einen Tom Müller in den Sturm gestellt? Manchmal ist man in einer Lage, wo nichts anderes hilft, als einen Spieler vorn reinzustellen, der jedem Ball hinterherläuft, der gallig ist, der den Körper reinhaut und nicht lange überlegt, wie er schießt. Warum? Nicht, weil er ein Knipser ist. Sondern, weil er in dem Moment nicht weiß, was er sonst mit dem Ball machen soll, wenn er vor dem Tor steht. Er prüft dann nicht mehrere Optionen, so etwas habe ich einfach als Erfahrung von früher mitgenommen.

Andererseits gibt es auch Situationen in Spielen, die wir verloren haben, wo ich schon drei Sekunden vorher wusste, dass jetzt ein Gegentor fallen würde. Gegen Auerbach beispielsweise wusste ich, dass es in dieser Situation zum Ausgleich kommt. Ich habe noch versucht, einzugreifen, bin da aber nicht mehr durchgekommen.

Ich bin immer mit voller Emotion dabei. Ich muss auch emotional dabei sein können – sonst wäre es nicht mein Sport.

Dann wärst du auch nicht du, wie wir dich kennen. Als Cheftrainer bist du ja – per se – eine Führungspersönlichkeit. Wie würdest du deinen Führungsstil beschreiben? Bist du ein Leiter, ein Lehrer, ein Motivator oder eher der väterliche Kumpel?

Zu allererst: Ich habe ein super Team. Wir reden über alles. Mit unseren neu hinzugekommenen Aufgaben des sportlichen Leiters hat sich, in der Außenwirkung, das Team vergrößert, intern jedoch nicht.

Da hole ich mir auch mal ein Feedback ab. Von Christian oder von Heinzi, den ich nicht nur als Fußballer, sondern auch als Menschen tierisch schätze. Da passt schon alles zusammen. Grundsätzlich versuche ich, mit jedem Menschen klarzukommen. Mir ist es egal, welche Hautfarbe, welche Religion jemand hat oder aus welchem Land er kommt, mich interessiert auch nicht, ob jemand homosexuell ist oder wen eine Person liebt. Für mich zählt nur der Mensch. Wenn ich bemerke, dass mir jemand nicht gut tut, dann streite ich mich nicht mit ihm. Ich halte dann einfach Abstand zu der Person.

Zum Thema Führungsstil: In seinen vielen Jahren als Trainer muss man sich auch erst mal finden. Ich habe das Gefühl, dass sich jetzt bei Chemie Leipzig alles so langsam bei mir einfügt und abrundet. Meine Antwort hier und heute: Ich bin ein situativer Trainer, nicht autoritär. Es gibt Momente, in denen du Verantwortung übernehmen musst, Entscheidungen treffen musst, die vielleicht unpopulär sind. Es gibt Momente, in denen du einfach den Spieler zur Seite nimmst und redest – auch über private Situationen abseits des Fußballs. Und mal gibt es Momente, in denen du einen Spieler einfach in den Arm nehmen musst.

Ich passe mein Auftreten an die Situation an. Ich glaube, damit verstehe ich mich mit meiner Mannschaft sehr gut, auch mit meinem Team, die mich als Menschen nehmen, wie ich bin. Ich bin auch nicht immer einfach, gerade bei Niederlagen, die muss ich erstmal sacken lassen. Da lassen mich auch alle in Ruhe, wissen ganz genau, dass ich nicht durchdrehe, sondern nachdenke.

Wir nehmen uns alle auch nicht immer ernst. Wir sind alle zusammen gewachsen. Wo kommen wir denn da hin, wenn wir nicht normal miteinander reden können? Nur so geht das im Team. Mir ist es lieber, wenn man direkt mit mir ist, als wenn man hinter meinem Rücken über mich spricht. Wenn wir zusammen in einem Raum sind, können wir uns dort verbal alles an den Kopf schmeißen – dann verlassen wir den Raum und lassen das alles dort.

Wenn man jetzt mal zurückschaut in deine Ausbildung, deine Erfahrung: Siehst du Parallelen zu einem Trainerkollegen? Gibt es ein Vorbild, an dem du dich, zumindest früher, orientiert hast?

Ich denke, meine Art ist in gewisser Weise schon sehr speziell. Trotzdem wird man immer verglichen, gerade in der Anfangszeit als Trainer. Da heißt es dann, Pep Guardiola hat dieses gemacht oder Jürgen Klopp hat jenes gemacht. Mit dem wurde ich früher in Berlin immer mal wieder verglichen, wegen der Emotionalität. Ich habe versucht, meinen eigenen Weg zu finden, aber habe nie jemanden gesehen, mit dem ich mich perfekt vergleichen kann. Weil jeder Mensch einzigartig ist, jeder Mensch hat seine eigenen Ecken und Kanten. Deshalb habe ich auch kein wirkliches Vorbild unter den Fußballtrainern – ich trainiere wie Miro Jagatic.

Aus der menschlichen Sicht gibt es einen, vor dem ich sehr viel Respekt habe, in der Art und Weise, wie er arbeitet, aber ich vergleiche mich nicht mit ihm. Das kann ich nicht, möchte ich auch nicht und das wäre auch nicht angemessen. Aber es gibt einen Menschen, der Fußball so lebenswert macht, wie wir ihn uns vorstellen, der auch viele Sachen vielleicht auch manchmal nicht so ernst nimmt, aber der auch dazwischen hauen kann. Das ist Christian Streich von Freiburg.

Absolut geil, wie er mit Menschen umgeht. Er ist authentisch, spricht kompromisslos seinen Dialekt, alles ehrliche Worte. Leider kenne ich ihn nicht persönlich. Bei Streich bewundere ich auch immer wieder die Erfolge aus wenigen Mitteln: Auf eine eigene Art, mit anderen Wegen, etwas zu erreichen, ist sehr stark. Seine menschliche Art macht ihn mir so sympathisch. Aber würde ich ihn imitieren? Nein, ich bin Trainer bei der BSG Chemie Leipzig: Ich bin speziell, der Verein ist speziell. Und man muss auch Leiden lernen – das habe ich hier.

Ich weiß nicht, ob du mitzählst, aber: Aller guten Dinge sind drei. In drei Wochen bist du drei Jahre Cheftrainer bei Chemie und seit über drei Dutzend Jahren der Erste, der es so lange geschafft hat. Herzlichen Glückwunsch! Es ist ja nicht so, dass wir danach aufhören, sondern gerade erst anfangen, oder?

Ehrlich: Ich habe noch eine Menge vor mit dem Verein. Klar bin ich stolz, dass ich bei einem Traditionsverein schon so lange Trainer sein darf, für diese Möglichkeit bin ich auch sehr dankbar. Doch das Geschäft kann ich auch gut einordnen. Viele da draußen wissen nicht, wie schwer es ist, wenn du so viele Verletzte hast wie wir in dieser Saison. Du kannst einfach nicht genau dieselbe Performance bringen wie im letzten Jahr. Jetzt versuche ich das alles neu zu erklären, ohne schon im Vorfeld nach Entschuldigungen zu suchen.

Um etwas aufzubauen, benötigst du gewisse Konstanten. Zu all dem, was wir in diesen Jahren hier zusammen erreicht haben, dazu gehört auch Andy Müller-Papra, dazu gehört das ganze Team, dazu gehören viele weitere Leute, die hier ehrenamtlich arbeiten. Das verdient Respekt, davor muss man den Hut ziehen! Kunstrasen, der neue Sozialtrakt, das Flutlicht, das sind alles Dinge, die neben dem Sport wachsen – und ich möchte das alles begleiten.

Ich bin aber auch Realist. Es gibt Dinge, die ich erreichen möchte. Irgendwann wird der Moment kommen, an dem ich hoffentlich nicht vom Hof gejagt werde, aber an dem ich meine Grenzen erreicht sehe. Keine Angst, ich werde nicht abhauen! Ich habe ein absolut geiles Verhältnis mit allen Verantwortlichen. Ich hoffe auch immer, dass man sich zweimal im Leben sieht. Aber ich will nicht, dass einer die Straßenseite wechselt, wenn man mich mal erblickt, und sagt „Oh Gott, da kommt er.“

Verlassen wir die Trainerbank in Richtung Mannschaft. Wie viel Miro steckt in diesem Team? Wie konntest du die Erste in den letzten drei Jahren formen?

Als wir hier losgelegt haben, galt es zunächst, einen Weg zu finden, wie wir ein Fundament aufbauen mit der Richtung, die wir im Blick haben. Das haben wir mit der Mannschaft, dem Trainerteam und viel Vertrauen auch geschafft und mit diesen Leuten möchte ich auch in Zukunft lange zusammenarbeiten.

Im ersten Halbjahr klappte es dank erster kleiner Änderungen gleich mit dem Aufstieg. Dann sind wir in der Regionalliga gestartet und haben mit bescheidenen Mitteln – eigentlich mit einem guten Oberligakader – die Liga gehalten und dabei haben den ersten Derby-Sieg nach langer Zeit geholt, das war ein geiler Moment! Wir hatten natürlich auch gewisse Spiele dabei, wo ich erst im Nachhinein erfahren habe, dass es historisch war, die ersten Siege seit Jahrzehnten gegen bestimmte Gegner. (Zum Beispiel Chemnitzer FC, unser erster Punktspielsieg seit 1975/76; d. Red.) Das wurde mir dann immer erst später gesagt – zum Glück.

All das haben wir zusammen erreicht und nun gibt es viele neue Ideen, mit der Mannschaft, dem Team, dem Verein. Wo sehen wir uns in zwei oder drei Jahren? Solche Ideen erarbeiten wir zusammen, ich betone das ganz bewusst. Die Mannschaft hat das in der Vergangenheit bewiesen, gerade auch ältere Spieler. Spieler, über die viele gesagt haben „da passiert nichts mehr“ und die sich trotzdem noch weiterentwickeln konnten – wie ein guter Wein. Das macht mich sehr stolz, wenn auch erfahrene Spieler so viele Sachen noch mitnehmen und sich verbessern, das geht nur im Team.

Konkret zu deinem Werdegang: Ganz am Anfang habe ich dich gefragt, ob du zufrieden bist. Da hast du „ja“ gesagt. Sind wir genau da, wo du nach drei Jahren sein wolltest? Liegen wir darunter oder darüber? Sind wir im grünen Bereich oder ist noch Luft nach oben?

Ich würde sagen, der aktuelle Tabellenplatz spiegelt ziemlich gut wider, wie und wo wir momentan einzuordnen sind. In der letzten Saison war es nur eine Momentaufnahme, viele Faktoren haben eine Rolle gespielt. Wir haben auch mal glückliche Tore geschossen – meist im entscheidenden Moment – und nicht so viele individuelle Fehler gemacht, schon standen wir oben. Zusammen gesehen ergeben diese beiden Saisons die Wahrheit: Wir sehen, wir können oben mitspielen, haben aber auch Defizite, an denen wir Schritt für Schritt arbeiten müssen.

Ich bin zufrieden mit dem, was jetzt ist. Weniger zufrieden bin ich bezüglich der Erwartungshaltung. Wir waren zum Abbruch Dritter und hätten die Saison wohl auch regulär auf einem guten Platz beendet. Aber nach der letzten Saison haben uns qualitativ starke Spieler verlassen und wir versuchten, die entstandenen Lücken mit Qualität aufzufüllen. Doch die chemische DNA zu verinnerlichen braucht Zeit. Meinem Gefühl nach sind wir gerade in einer Art Findungsphase sind, auf der Suche nach Konstanten, inmitten einer kleinen Umbruchstimmung. In der nächsten Saison sind wir wieder häufiger für Überraschungen gut, davon bin ich überzeugt. Uns weiterentwickeln, unser Spiel weiterentwickeln und den Verein weiter wachsen sehen.

Worauf ich richtig Bock habe, wo ich richtig angreifen möchte, das sage ich ganz ehrlich, auch wenn es vielleicht total bescheuert klingt und wir davon noch meilenweit entfernt sind: Mein Ziel wäre es, wenn Gott will, in drei Spielzeiten mal in Richtung dritte Liga zu schielen. Vielleicht bin ich ein Träumer, wenn ich in drei Saisons oben in der Regionalliga mitspielen will. Aber ich bin der Meinung, dass wir das dem Verein und seiner Geschichte schuldig sind. Wir haben eine riesige Fanbase, eigentlich überall in Deutschland bekannt. Darauf können wir richtig stolz sein, da ist selbst in der Regionalliga Champions-League-Stimmung. Warum also nicht mal oben mitspielen?

Momentan ist es wie ein Puzzle, bei dem ab und zu mal ein Puzzleteil unter den Tisch fällt. Dann denkst du, jetzt habe ich noch kein fertiges Bild, willst es wieder richtig einfügen. Und dann merkst du, dass das das Teil vom letzten Puzzle war und so gar nicht passt. Genau dabei sind wir. Im Großen und Ganzen können wir mit diesen drei Jahren sehr zufrieden und auf das, was wir uns alle zusammen erarbeitet haben, richtig stolz sein. Wir sollten nicht nach Sternen greifen, unsere Demut beibehalten und in manchen Situationen nicht in Diskussionen ausarten. Zur Zeit gilt es, uns in der Regionalliga zu festigen und hier unsere Ziele zu erreichen, aber in Zukunft, so hoffe ich, greifen wir oben an!

Frank Kühne forderte im Kontext der Neuordnung in der Sportlichen Leitung eine deutliche Erhöhung der Schlagkraft der Ersten – Zufriedenheit klingt anders. In welche Richtung zielt diese Äußerung, wie hoch liegt die Messlatte des Erfolgs?

Er hat keine Messlatte auflegen wollen, hat nur betont, dass wir uns weiter entwickeln müssen und auf dem richtigen Weg bleiben. Es geht ihm darum, einen drauf zu setzen, nicht nur auf die Erste der Herren bezogen. Unser Nachwuchs soll mitwachsen und darf nicht vernachlässigt werden.

Mit der Ersten wird das auch klappen, ich weiß, dass das alles funktionieren wird, weil wir ein abgestimmtes Team und auch im Umfeld viele Leute haben, die den Weg genau kennen und mitgehen wollen.

Worauf wir jetzt verstärkt ein Auge haben werden, ist die Jugend. Hier müssen wir ehrlich sagen: Das ist uns in der Vergangenheit ein bisschen entglitten. Der Fokus lag zu stark auf der Ersten, unsere Jugend haben wir nicht ausreichend mitgenommen. Demnach sind die Ergebnisse da auch weniger zufriedenstellend.

Den Kleinen, wie auch allen anderen Beteiligten, darf man keinen Vorwurf machen! Im Gegenteil: Wir haben viele gute Leute in der Nachwuchsausbildung. Wir müssen aber schauen, wie wir uns besser aufstellen, hier sind alle von Vorstand bis Aufsichtsrat auch entsprechend sensibilisiert. Unsere Aufgabe ist es, zu analysieren, wie es besser gehen kann, in einen guten Austausch zu kommen, immer ein offenes Ohr füreinander zu haben.

Der Fokus liegt nun also mehr auf dem Nachwuchs. Darüber hinaus: Was möchtest du beziehungsweise die „Quadriga“ anders machen und was beibehalten nach Andy Müller-Papra? Was ist die neue Philosophie, wie sieht der neue Ansatz aus?

Als erstes möchte ich sagen: Wir haben ja wirklich Erfolge gehabt mit Andy. Was wir alles zusammen erreicht haben, ist eine geile, geile, geile Sache. Uwe Thomas war die ganze Zeit übrigens schon mit dabei, das vergessen viele. Natürlich ist es kein Kinderspiel, Andy zu ersetzen. Ich kann seine Entscheidung nachvollziehen. Man muss Kompromisse machen, zwischen Job, Familie, BSG – dass das auf Dauer zu viel werden kann, die Qualität darunter leidet, steht außer Frage. Sowas merkt man als erster persönlich – Andys Arbeit hatte bis zum Schluss, bis zu seiner Entscheidung neulich, immer Hand und Fuß.

Im Augenblick arbeiten wir noch an der Neuordnung, das ist immer ein Prozess. Es gibt bereits eine klare Aufteilung der Aufgaben und wir versuchen es so zu machen, dass die andere Arbeit nicht darunter leidet. Aktuell reden wir sehr viel. Wir versuchen, absolute Transparenz unter uns vieren aufzubauen. Wir vier versuchen dem Verein jetzt einfach zu helfen, alles zu stemmen und zu bewerkstelligen – natürlich auch, weil einfach keine Zeit bleibt, jetzt jemand neuen zu holen, der Umfeld und Mannschaft richtig kennt.

Chemie ist Chemie, Chemie ist speziell! Und wenn du dann jemanden holst, der mit Chemie nicht vertraut ist und Chemie nicht kennt, fängst du an zu diskutieren. So etwas kann genau die Arbeit, all das, was wir uns in drei Jahren aufgebaut haben, in kurzer Zeit kaputt machen. Wir haben uns das Schritt für Schritt aufgebaut und jetzt wollen wir gemeinsam den nächsten Schritt gehen.

Was in Zukunft konkret anders oder mehr auf dem Programm steht, ist rausgehen, verstärktes Scouting, auch über entsprechende Programme. Das wurde in der Vergangenheit natürlich auch gemacht, jetzt können wir das allerdings auf mehrere Schultern verteilen. Der Zeitaufwand für die Spiele und die endgültige Verpflichtung eines Spielers ist natürlich brutal. Wenn uns darüber hinaus von einem Berater ein guter Spieler angeboten wird, dann wären wir ja schon blöd, abzulehnen. Ziel ist aber, Spieler zu holen, die sich mit unserem Verein beschäftigt haben, sich mit ihm identifizieren können und wollen. Wenn der Spieler allerdings sagt, eigentlich weiß ich nicht so recht, dann ist es auch nicht der passende Spieler für uns, für Chemie.

Zur Kaderplanung: Wie geht ihr die Planungen für die neue Saison an? Punktuell oder systematisch, vielleicht auf ein neues Spielkonzept ausgerichtet? Wie steht es um die Finanzierbarkeit neuer Spieler?

Kaderplanung hört eigentlich nie auf, läuft stets im Hintergrund mit. Hier bin ich mit Uwe Thomas intensiv im Gespräch, wie schon in der Vergangenheit. Finanziell haben wir natürlich einen gewissen Rahmen. Wir wollen nicht über unseren Verhältnissen leben, es gab und gibt Situationen, wo es einfach nicht gereicht hat. Situationen, in denen wir an einem Spieler dran waren und ihn leider nicht bekommen haben. Es macht die Arbeit natürlich nicht einfacher, wenn dir andere Vereine mit mehr Budget den Spieler vor der Nase wegschnappen, aber auch hier hilft Uwe Thomas finanziell und durch sein Netzwerk in der Wirtschaft.

Wir hätten manche Spieler in dieser Saison nicht bekommen, hätten uns gewisse Möglichkeiten von Uwe Thomas nicht zur Verfügung gestanden, wenn er uns nicht unterstützt hätte. Ich bin dafür sehr dankbar und hoffe, dass wir den Weg gemeinsam weitergehen, wir haben gemeinsam echt gute Ideen.

Mit dem möglichen Abgang etablierter Spieler muss auch Verantwortung übertragen werden. Wachsen hier Spieler in diese Rollen hinein? Wie kann man diese Lücke schließen?

Typen wie Stefan Karau wirst du nicht eins zu eins ersetzen können. Wirst keine Spieler finden können, die sich so mit dem Verein identifizieren wie Stefan. Wie er Chemie lebt, ist Wahnsinn. Genau so hat es auch Heinzi gemacht, und wir noch ein paar aus der Mannschaft, die es so machen. Aber alle wissen, dass eine solche Situation irgendwann kommt, dass es eines Tages eben passiert und ein Ende findet.

Darum ist mir dieser Weg mit unserer eigenen Jugend so sehr wichtig, so schließt sich der Kreis dann. Wir brauchen Leute, von denen wir sagen können, in eins, zwei, drei Saisons greifen wir an. Wieder Leute aus der Jugend bekommen, die sagen, ich will hier im Verein bleiben, weil es mein Leben ist. Du musst natürlich dafür auch an die Professionalität ran, die Jungs können nicht nebenbei noch arbeiten. Es wird schwer, Charakter neu zu besetzen. Wenn wir neue Spieler holen, muss zu allererst der Charakter passen, erst dann kommt die fußballerische Komponente.

Aber was heißt es konkret, Verantwortung zu übernehmen? Das sagt sich so leicht.

Verantwortung trägt einer, der für den Verein lebt, wo es über die reine Pflichterfüllung weit, weit hinausgeht. Die Menge an solchen Spielern ist überschaubar, das ist einfach so. Nicht, dass die anderen Spieler das nicht könnten – aber die haben einfach nicht die gemeinsame Geschichte und Vergangenheit mit dem Verein, das ist auch kein Vorwurf. Es wäre vielmehr geil, wenn sie eines Tages diese gemeinsame Geschichte hätten. Wenn sie sagen, wir machen hier sechs, sieben Jahre und gucken nach oben, da wollen wir hin. Deswegen schauen wir natürlich bei der Kaderplanung: Wie tickt der Spieler? Wie kennt er den Verein? Wie nimmt er den Wettkampf an? Es ist nicht so, dass wir mit dem Geldkoffer durch die Gegend rennen und fragen wie teuer einer ist oder für wieviel Geld er es machen würde, wir müssen einfach mit anderen Dingen überzeugen. Und wenn diese Argumente greifen, sind wir auf dem richtigen Weg.

Dennoch ist ein Generationswechsel früher oder später notwendig. Man kann nicht ewig darauf und damit warten, die perfekten Spieler zu finden und zu binden. Gerade im anvisierten Profigeschäft bleibt die Romantik oftmals auf der Strecke. Ändert sich damit dann der Charakter der Mannschaft und zwangsläufig des Vereins, wenn sich der harte Kern der Urgesteine auflöst?

Das ist eine Mammut-Aufgabe! Es wird schwer, aber bei mir hat‘s auch geklappt.

Dann wäre da noch die Misere um unsere Verletztenliste. Wie kann man sich besser vor dem plötzlichen Fachkräftemangel schützen, darauf vorbereitet sein, das Risiko minimieren? Braucht‘s einen breiteren Kader, braucht‘s eine stärkere zweite Reihe?

Was die Kaderbreite betrifft, kann man niemandem einen Vorwurf machen, die Planung war gut. Natürlich haben wir nach dem Abgang von Burim Halili mit unserem Ben Keßler großes Glück gehabt. Das hätte vorher keiner gedacht, dass er sein Sache auf Anhieb so gut macht.

In den letzten acht Wochen – wo wir es wirklich schwer hatten, aber trotzdem auch Punkte eingefahren haben – sind uns sehr viele Spieler weggebrochen, das ist wahr. Wir waren in unerwartet harter Weise vom Pech verfolgt: Der Langzeitausfall von Lucas Surek und Max Keßler seit Saisonbeginn. Das Zusammenprallen von Alex Bury bei Hertha. Das alles zu kompensieren ist sehr schwer. Man muss neuen Leuten ein bisschen Zeit zugestehen, um sie heranzuführen. Es hat mir, leider Gottes, muss ich ganz ehrlich sagen, das Verständnis von außen ein wenig gefehlt. Dafür haben mir Leute, die wirklich nah dran sind und ihren Einblick einordnen können, immer Mut zugesprochen.

Was tatsächlich ein Problem für die Zukunft bleibt, ist, dass viele unserer Spieler nach acht Stunden Arbeit ins Training einsteigen. So entstehen Situationen, in denen Geist und Körper nicht mehr am frischesten sind und dicht machen. Kein Vorwurf an die Spieler, ich weiß, dass man mit diesem Pensum nicht bei jedem Spiel die beste Performance abrufen kann. Kommen dann noch englische Wochen und Spiele gegen vollprofessionelle Mannschaften, wird es eben auch nicht einfacher. Oftmals werden wir sogar in die Favoritenrolle gedrängt. Doch die letzte Saison haben wir überperformt, sie war nur eine Momentaufnahme, die die Erwartungen vielleicht etwas zu hoch geschraubt hat.

Aktuell sind wir im Umbruch, nach nochmal drei Jahren soll und wird es anders aussehen. Ich denke aber, dass die meisten Fans uns sogar dafür dankbar sind, dass die Jungs – nebenbei in überschaubarem finanziellen Rahmen – die Knochen hinhalten und die Sache eigentlich sehr, sehr gut machen. Und ich hoffe, dass wir uns noch Jahre gut weiter entwickeln können, bis wir dann eben eines Tages auf Professionalität umschwenken. Bis dahin haben wir aber noch ein bisschen Arbeit vor uns.

Die Marschrichtung ist also klar: Dritte Liga mit Sinn und Verstand, aber so schnell wie möglich.

Wir müssen einen anderen Weg einschlagen, sonst verlieren wir in dieser Liga den Anschluss. Es geht nur über die Professionalität, das ist Fakt. Hier schaffen wir Schritt für Schritt die nötigen Voraussetzungen. Wir können nur Höchstleistungen verlangen, wenn die Jungs nichts anderes machen als Fußballspielen und damit ihr Einkommen verdienen. Das geht nicht von heute auf morgen. Du kannst nicht einfach den Schalter umlegen und sagen: „So! Lasst alles stehen und liegen, ihr seid jetzt Profis und habt zu gewinnen!“ Nein, das ist eine ganz klare Absprache mit den Verantwortlichen: Die dritte Liga ist unser Ziel, in drei Spielzeiten und wenn alles planmäßig läuft gehen wir sie an. Wenn wir alle zusammen wachsen, glaube ich, werden wir eine schöne Zukunft haben. Aber immer wieder Gott danken, demütig sein und immer im Leben positiv bleiben.

Schauen wir auf das Naheliegende: Was macht die BSG in der Rückrunde so erfolgreich?

Zuallererst, dass Spieler, die uns in der Vergangenheit gefehlt haben, wieder da sind. Dass wir sie zu wirklich einhundert Prozent fit bekommen und sie verletzungsfrei bleiben. Ich glaube schon, dass wir in vielen Momenten wirklich keinen geilen Ball gespielt haben und wir uns auch in Situationen wieder fanden, wo man merkte, dass die Jungs auf dem Zahnfleisch gehen. Um das zu ändern, arbeiten wir an der Trainingssteuerung. Ob du es glaubst oder nicht: Wir müssten eigentlich fast jeden Spieler individuell trainieren. Das Mannschaftstraining ist nun mal weniger effizient, wenn du eine Reihe an Spielern hast, die nach der Arbeit erst einmal zur Behandlung oder Physio müssen und deshalb nicht am regulären Training teilnehmen können. Dennoch glaube ich, dass wir, wenn wir von gewissen Sachen verschont bleiben, rechtzeitig unsere Punkte für den Klassenerhalt gesammelt haben werden.

An welche konkrete Saisonleistung sollte die Mannschaft in der Rückrunde anknüpfen?

An die zweite Halbzeit gegen Carl Zeiss Jena.

Welche Partie möchtest du nicht noch mal sehen?

Das Spiel gegen Auerbach. Ich habe versucht, den Druck von den Spielern fernzuhalten. Aber egal, was ich sage: Das sind keine Profis. Du bemerkst dann auf einmal, dass individuelle Fehler dazukommen und die Dinger nicht einfach mehr so reingehen. Dass uns das Spiel so aus den Händen gleitet, darf uns nicht passieren. Wir müssen von uns immer überzeugt sein, unseren Prinzipien treu bleiben – dass wir das können, haben wir auch in der Vergangenheit bewiesen. Jetzt heißt es, in der Zukunft die Konstanz hinzubekommen.

Was wünschst du dir zu Weihnachten?

Ich wünsche mir an erster Stelle, dass alle Mitglieder, Ehrenamtliche, Spieler:innen, Sponsoren, Fans und ihre Familien gesund bleiben. Wir sehen leider schon genug Elend auf der Welt. Weihnachten ist der richtige Zeitpunkt, um anderen Menschen etwas vom eigenen Glück abzugeben. Denkt an eure Mitmenschen – das wünsche ich mir. Und natürlich wünsche ich mir ein Wiedersehen mit allen Chemikern im Alfred-Kunze-Sportpark. An dieser Stelle noch einmal mein größter Respekt an alle für die großartige Unterstützung!

Ein großes Dankeschön also noch einmal an die Fans deinerseits. Ich wiederum danke dir für das Interview. Besinnliche Weihnacht und guten Rutsch, lieber Miro!

Dir auch! Vielen Dank und bleib, wie du bist.

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